Bergens Tidende, 26.04.2021

Aus dem Norwegischen übersetzt:

BT Magazin

Große Leidenschaft im kleinen Maßstab

Der Architekt Michael Heym (47) verbringt 300 Stunden damit, die unglaublichsten Modellautos herzustellen. Aus Papier.

- Ich versuche, die Details des vorherigen Autos zu übertreffen, sagt Michael Heym. Der Architekt aus Frekhaug verbringt oft 300 Stunden damit, Automodelle zu bauen - auf Papier. FOTO: EIRIK BREKKE

Paal Kvamme

Veröffentlicht

26.04.2021, 19:28

- Ich bin sehr stolz, sagt Michael Heym.

Mit größter Sorgfalt hebt er eine transparente Plastikbox aus gut gefüllten Regalen herunter. In einem Hobbyraum in Frekhaug präsentiert der 47-Jährige sein komplexestes Projekt aller Zeiten:

Tatra 603, ein teures tschechoslowakisches Luxusauto, das den Hochherren des kommunistischen Staates vorbehalten ist.

- Genau wie das Original, freut sich der Architekt.

Nur dass dieses in 1:23 ist.

Und aus Papier.

Bevor wir uns auf eine erstaunliche Form der Freude am Auto einlassen, müssen wir in der Zeit etwas zurückspulen. Michael Heym wuchs in der DDR auf, wo es fast unmöglich war, Modellautos zu bekommen. Also fingen er und sein großer Bruder Matthias an, ihre eigenen zu machen. In Papierform.

- Ich wollte nicht wirklich, aber Matthias hat mich dazu gedrängt, sagt Heym.

Absolut alles, was Michael Heym tut, wird sorgfältig protokolliert. Im Durchschnitt dauert jedes Modell 300 Stunden. FOTO: EIRIK BREKKE

- Darüber bin ich heute froh. Es macht mir Freude! Ich gebe mir selbst komplizierte, herausfordernde Aufgaben. Dinge zu machen, die es nur als einmaliges Exemplar auf der Welt gibt, gibt mir eine unglaubliche Menge an Befriedigung.

Heute ist die DDR weg, aber die Papiermodelle gibt es weiterhin. Am Anfang waren die Modelle sehr einfach und als Transportmittel für die Schlumpf-Figuren der Jungen gedacht. Allmählich wurden sie komplizierter. Nachdem das Duo Türen erstellt hatte, die geöffnet werden konnten, bestand der nächste Schritt darin, den Türen einen Verriegelungsmechanismus zu geben. Als Papierauto-Antwort auf Lennon / McCartney haben sich die Brüder gegenseitig dazu angeregt, immer besser zu werden und immer fortschrittlichere Lösungen zu finden. Michael wurde Architekt und zog nach Norwegen, um dort zu arbeiten. Jetzt benutzen sie Videokonferenzen um zu Basteln.

Hat 97 Autos gemacht

- Wir haben einen kleinen internen Wettbewerb, bei dem beide versuchen, das beste Modell zu bauen. Aber wir werden nicht sauer aufeinander, wenn der andere gewinnt, sagt Michael.

Bisher haben die Brüder 97 Papiermodelle hergestellt, die in Vitrinen bei ihrem Vater in Deutschland gesammelt werden.

In Frekhaugs einziger Autofabrik werden bis zu fünf Lagen Pappe oder Papier verwendet.

- Ich benutze alte Visitenkarten und 190 Gramm ostdeutsches Zeichenpapier. Wenn das Papier zu dünn ist und Du Farbe hinzufügst, kann es sich wellen, erklärt der Architekt.

Das Papier wird zusammengeklebt mit dem, was er "ostdeutsch, ein bißchen gefährlicher Kleber" nennt. Außerdem wird eine streichfähige Papiermasse verwendet, die trocknet, wenn sie mit Luft in Kontakt kommt.

- Nachdem die Papiermasse getrocknet ist, wird sie geschliffen, grundiert, erneut geschliffen und anschließend lackiert. Dann bekommst du eine schöne Oberfläche, sagt Heym.

Dann stellt er die Arbeitslampe ein und beugt sich über ein Modellauto, das noch nicht fertig ist. Aber das hat schon eine Fülle von Details, die kaum zu glauben sind.

Der Detaillierungsgrad ist erstaunlich - überprüfen Sie die Nagelgröße in Bezug auf z. die Knöpfe im Radio. FOTO: EIRIK BREKKE

Der Tatra-Innenraum hat alles von Pedalen, Radio, Sitzverstellhebeln und Knöpfen und Hebeln an der Lenksäule. Wir wären kaum überrascht gewesen, wenn ein winziger Papiermann gekommen wäre, der bereit gewesen wäre, hineinzuspringen, den Papiermotor zu starten und über den Schreibtisch Vollgas zu geben. In diesem Fall hat Heym einen winzigen Zündschlüssel für ihn angefertigt, der in ein winziges Zündschloss passt.

- Meine Toleranzgrenze liegt bei einem halben Millimeter. Der Blinkerhebel ist etwa 0,8 Millimeter dick, sagt Heym.

Eingebettetes Licht

Jeder, der einen Zahnstocher besitzt, kann die Armlehne auf dem neu gezogenen Rücksitz umklappen. Die Papierautos haben Einzelradaufhängung (!) und eingebaute Lichter - dann sprechen wir sowohl über funktionierende Scheinwerfer als auch über Rücklichter und Blinker. Die Innenbeleuchtung in der noch nicht fertig gestellten Decke leuchtet beim Öffnen der Türen auf. Es gibt sogar Licht in der Instrumententafel, eine Aufgabe, die nichts für Grobschmiede war.

Heym verkleinerte ein Foto eines echten Tatra-Tachometers und druckte es auf normales Fotopapier. Anschließend spaltete er das Fotopapier, das aus mehreren Schichten besteht. Die Schicht mit dem Motiv war jetzt so dünn, dass sie teilweise transparent wurde, und mit einer ruhigen Hand im Armaturenbrett montiert wurde.

- Wenn Sie die Scheinwerfer einschalten, werden auch die Instrumente hell, sagt Heym mit der Begeisterung eines Nerds.

Der Tatra 603 ist ein unvergesslicher Anblick. Das Auto kam 1956 auf die Straße, mit etwas Ungewöhnlichem wie einem luftgekühlten V8-Motor im Heck und einem Aussehen, das man nie vergessen kann. Am Anfang hatte das Auto drei mittig platzierte Scheinwerfer, während spätere Modelle eine kleinere UFO-ähnliche Lösung mit vier Scheinwerfern erhielten.

- Ich konnte mich nicht entscheiden, welche Version ich machen soll, sagt er.

- Also mache ich beides.

Der Roller ist eine IWL Berlin im Maßstab 1:23. Heym begann zufällig, die Waage zu benutzen und hat sie seitdem fortgesetzt. Foto: privat FOTO: PRIVAT

Bei der ersten Version schwang der mittlere Scheinwerfer mit, wenn der Fahrer das Lenkrad drehte. Für Heym, der es liebt, Dinge für sich selbst kompliziert zu machen, war dies eine goldene Gelegenheit. Er findet eine Pinzette und dreht das mikroskopische Lenkrad und ja - der mittlere, winzige Scheinwerfer schwingt.

- Es ist wichtig, sich neue Herausforderungen zu schaffen, um die Modelle zu übertreffen, die ich zuvor gemacht habe!

Die Methoden wurden auf dem Weg verfeinert. Zum Beispiel die Radproduktion.

- Früher habe ich Kreise auf Pappe gezeichnet. Dann habe ich 150 Runden mit einer Schere ausgeschnitten und diese zusammengeklebt. Da haben mir meine Finger ordentlich wehgetan, sagt er.

Der große Bruder in Deutschland übernahm die Verantwortung und stellte Schaumgummireifen her. Der nächste Schritt besteht darin, mit einem Laser Muster in die Schaumgummireifen zu schneiden und sie in schwarzen Latex zu tauchen, um den Eindruck von schwarzem Gummi zu erwecken.

Eine weitere Herausforderung bestand darin, den Sitzen ein weiches, glaubwürdiges Aussehen zu verleihen. Die Lösung fand er in einem Hobbygeschäft: dünne Seidenbänder, die mit einer kleinen Überlappung nebeneinander geklebt werden.

Um alle Maße richtig zu machen, hat er sich Tatras Originalzeichnungen besorgt. Auf diese Weise konnte er sicherstellen, daß alles in der schönsten Ordnung ist und daß das Modell 220,22 Millimeter im Maßstab 1:23 wird.

Für das Papiermodell der Tatra 603 werden die eigenen Produktionszeichnungen der Autofabrik verwendet. FOTO: EIRIK BREKKE

Die Lösungen lauern überall. Bei Staples (Anm.: norwegisches Schreibwaren- und Büroartikelgeschäft) kaufte Heym ein Kalenderbuch, das er nicht brauchte, weil die Textur des Umschlags perfekt für das Hutablage war.

- Juweliergeschäfte für junge Mädchen sind perfekt. Dort gibt es schöne kleine Metallteile, die verwendet werden können. Die Reflektoren in den Scheinwerfern sind eigentlich dekorative Nägel, die Sie an Gürteln anbringen können. Ich bohrte Löcher und setzte eine Glühbirne ein. Es war ein ausgezeichneter Reflektor, sagt er.

Eine weitere Nuß waren die beiden Heckscheiben der Tatra-Autos.

- Das Glas ist gleichzeitig in mehrere Richtungen gebogen. Ich habe lange darüber nachgedacht, wie ich es lösen kann.

Er fand die Lösung in der Salattheke bei Meny (Anm.: norwegische Supermarktkette).

- Die Salatdeckel hatten die perfekten Krümmungen! Ich füllte den Salat auf und nahm 3-4 Decken. Sie paßten perfekt.

Im Gegensatz zur Tatra 603 können selbst Staatsoberhäupter kein Heym-Auto sichern.

In seiner Heimat Deutschland hat Michael Heym eine Tatra 603 - in voller Größe. FOTO: PRIVAT

- Es kommt vor, daß Leute fragen, ob sie die Modelle auf unserer Website heymwerker.de kaufen können. Sie stehen aber nicht zum Verkauf. Wenn Sie die Anzahl der Stunden berechnen, wird die Summe so hoch, dass Sie ein echtes Auto kaufen können. Wir wollen kein Geld, das ist der springende Punkt bei einem Hobby.

- Bastelt ihr bevorzugt osteuropäische Autos?

- In der DDR waren amerikanische oder westdeutsche Autos der Traum. Als die Berliner Mauer fiel, verschwanden die osteuropäischen Autos. Niemand hat sich um sie gekümmert. Jetzt steigen die Preise. Wenn Sie zu einem Autotreffen in Bergen gehen, stehen die meisten Leute um einen Trabant herum, nicht um die Cadillacs.

Mehr Charme in alten Autos

Als Basis besteht ein großes Interesse an echten Autos. Heym besitzt einen Tatra 603 und einen Skoda 1000 MB, diese befinden sich derzeit in Deutschland.

- Alte Autos zu fahren gibt ein gutes Gefühl. Es war einzigartiges Design und gute Qualität in den alten Tagen. Neue Autos sind auch in Ordnung, aber ich vermisse den emotionalen Aspekt. Es ist charmanter, alte Autos zu fahren.

Es geht nicht schnell. Mit der Genauigkeit eines Buchhalters wird alles in einem Logbuch festgehalten, von Skizzen und Ideen bis hin zu der Anzahl der Stunden, die er gearbeitet hat, an welchen Tagen und was gemacht wurde.

Bisher haben die Brüder 97 fertige Modelle hergestellt. Sie sind beim Vater in Deutschland versammelt. FOTO: PRIVAT

- Hier, sagt er und blättert ein bißchen,

- ... steht, daß die erste Skizze für das Auto im Jahr 2013 gemacht wurde. Es gibt viel zu tun auf meiner Arbeit, sodaß ich kaum Zeit für das Hobby bekomme. Das Ziel ist es, im Laufe des Jahres fertig zu werden.

- Wie viel Zeit verbringst du mit einem Auto?

- Fast 300 Stunden. Manchmal stehe ich früh auf und bastele eine Stunde, bevor ich zur Arbeit gehe.

- Was passiert, wenn das Auto fertig ist?

- Dann setze ich mir ein neues Ziel, sagt Michael Heym.

- Wenn ich anfange, gebe ich nie auf!

Veröffentlicht: 25. April 2021